Wien wechselt das Thema

Nach Kritik am Versagen der Behörden vor Attentat präsentiert Österreichs Regierung ein Anti-Terror-Paket

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Überraschend kommt sie nicht - und dann irgendwie doch. Nach dem Anschlag in Wien vor einer Woche hat Österreich nun eine Debatte über Anti-Terror-Maßnahmen, die von Präventivhaft bis hin zu weitgehender Überwachung reichen sollen. Erwartbar war das seitens der Kanzlerpartei ÖVP durchaus - und in den Details auch nicht neu. Weniger erwartbar aber ist die weitgehend stillschweigende Zustimmung des Koalitionspartners, der Grünen. Denn nur etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass die Grünen gegen das Ansinnen des damaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ), die Sicherheitshaft einzuführen, ganz massiv Sturm liefen.

Und jetzt? Geplant ist eine elektronische Überwachung von aus der Haft entlassenen »Gefährdern«. Außerdem eine Ausweitung des Maßnahmenvollzuges oder anders gesagt: eine Präventivhaft. Hinzu kommen die Möglichkeit einer Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft sowie eine »Ergänzung der Straftatbestände zur effektiven Bekämpfung des religiös motivierten politischen Extremismus«. Das bedeutet vor allem, dass Vereine und Kulturstätten im Verdachtsfall leichter geschlossen werden können sollen. Zudem soll die Zuständigkeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten für Terrorismusstrafsachen gebündelt werden. Ein erstes Gesetzespaket soll bereits im Dezember vorgelegt werden.

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Es ist vor allem das Rundherum, das in der derzeitigen Debatte verstört. Denn nach dem Anschlag in Wien mit insgesamt fünf Toten waren es nicht Lücken in der Gesetzgebung, die sichtbar wurden - sondern ganz deutlich Verfehlungen, Fehleinschätzungen, Kommunikationsprobleme und Ineffizienz im Sicherheitsapparat. Oder anders gesagt: Zutage traten haarsträubende Mängel bei der Umsetzung bestehender Vorschriften, aber kein Mangel an sicherheitsrelevanten Paragrafen.

Der aktuelle Wissensstand rund um das Tatgeschehen ist der folgende: Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT) wusste allem Anschein nach spätestens seit Juli 2020 von verdächtigen Aktivitäten des späteren Täters. Der war zu diesem Zeitpunkt auch längst amtsbekannt: Im August 2018 hatte er versucht, ohne Visum nach Afghanistan zu reisen und im September 2018 wurde er schließlich in der Türkei festgenommen. Von dort wollte er zum IS nach Syrien gelangen. In der Folge wurde der spätere Wiener Attentäter in Österreich zu einer Haftstrafe verurteilt.

Hinweise zu verdächtigen Aktivitäten des Mannes kamen schließlich von Diensten aus Deutschland, der Schweiz und der Slowakei. Letzteres, nachdem der Täter nach Bratislava gefahren war, um dort in einem Waffengeschäft Munition für eine AK-47 zu besorgen - vergeblich. Unterwegs war er da im Auto der Mutter eines amtsbekannten Islamisten. Autonummer, Videoaufnahmen und andere Details gingen aus Bratislava an Wien - wo sie versickerten. Eine Observation des Mannes wurde abgebrochen. Auch Hinweise von Sozialarbeitern, die ihn als keinesfalls »deradikalisiert« bezeichneten, wurden ignoriert. Fazit: So plump wie der Täter vorgegangen war, hätte er eigentlich jedem funktionalen Dienst ins Netz gehen müssen.

Seit dem Anschlag des 20-jährigen Österreichers, der auch einen nordmazedonischen Pass besaß, steht vor allem Innenminister Karl Nehammer in der Kritik. Der aber prügelte zunächst einmal seinen Amtsvorgänger Herbert Kickl (FPÖ) für die Demontage des BVT und Justizministerin Alma Zadic (Grüne), weil die Justiz versagt habe. Allerdings: Der Täter war im Dezember 2019 aus der Haft entlassen worden, Zadic ist seit Januar 2020 im Amt.

Das BVT ist tatsächlich eine Baustelle. Kickl hatte erfolglos versucht, dort eine politische Umfärbung durchzusetzen. Das Ergebnis war ein massiver Vertrauensverlust ausländischer Dienste. Aber auch personell ist der Dienst ausgedünnt. Laut der Wochenzeitung »Falter« sind 25 Prozent der Planstellen unbesetzt. Dabei hatte Nehammer gleich zu Amtsantritt Anfang 2020 versprochen, den Dienst völlig neu aufzustellen - ohne sichtbares Resultat. Rücktrittsforderungen gegen den Minister prallen an der ÖVP aber ab - und seitens der Grünen gibt es nur sehr vereinzelt Spitzen gegen Nehammer.

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